Empirische Studien bescheinigen den mittelständischen Unternehmen eine eher zurückhaltende Adaption digitaler Technologien[1] (siehe auch Link auf Blogbeitrag: „Verantwortungsbewusster Pionier oder traditionsorientierter Verlierer?”.)
So untersuchte bspw. die Bundesnetzagentur zwischen Oktober 2022 und Februar 2023 die Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und verglich sie mit den Maßnahmen der Großunternehmen[2]: Obwohl 60% und damit mehr als die Hälfte der KMU keinerlei Daten mit anderen Unternehmen austauscht, sind kaum Unterschiede in den Digitalisierungspotenzialen. So wurden bereits zwei Drittel (67 %) aller Prozesse im Unternehmen, die theoretisch digitalisierbar sind, auch digitalisiert. Digitale Plattformen und Cloud-Technologien finden hierbei eher Anwendung als Künstliche Intelligenz und Internet of Things. Rasante technologische Entwicklungen erfordern zudem eine enorme Geschwindigkeit bei der Anpassung, die dazu führen kann, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben, Schritt zu halten und ihre Strategien anzupassen. Unternehmen, die eine solche Digitalisierungsstrategie haben, investieren doppelt so viel in digitale Technologien wie Unternehmen ohne Digitalisierungsstrategie. Allerdings haben drei Viertel der KMU keine Digitalisierungsstrategie, was einen zielgerichteten Veränderungsprozess erschweren könnte.
Wenn sich zwischen Großunternehmen und KMU auch kaum Unterschiede in der Einschätzung von Digitalisierungspotenzialen oder in ihrer tatsächlichen Nutzung ablesen lassen, ist nicht erkennbar, wie in den KMU Entscheidungen zur digitalen Transformation getroffen werden. Was zur Frage führt: Macht die digitale und ökologisch nachhaltige Transformation als wohl größte gegenwärtige und zukünftige Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich vor den Türen des Mittelstands als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ halt?
Quelle: AnnaStills - MotionArray
Wandel bedeutet Risiko und Effizienzverluste
Die Gründe der Zurückhaltung scheinen vielfältig: Wichtige Ressourcen, Veränderungsprozesse voranzutreiben, sind für KMU aufgrund begrenzter Budgets, Fachkräftemangel und geringer Aufgabenteilung in Kernprozessen der Wertschöpfung nur begrenzt verfügbar. Wandel kostet Zeit und Geld. Und er geht zulasten der Effizienz. Fachliches Knowhow und das Wissen zum Nutzen neuer Technologien befördern hingegen die Investitionsentscheidungen.
So sind in Abhängigkeit der anvisierten Veränderung nicht, wie häufig vorausgeschickt, die Kosten für Anschaffung und Implementierung vorrangig ausschlaggebend für einen erfolgreichen Technologietransfer. Denn angeschafft ist eine Software, eine Technologie oder eine Lizenz ohne Weiteres. Vielmehr werden Investitionsentscheidungen zur digitalen Transformation in KMU in erster Linie bestimmt:
- vom Grad des Vorwissens bei den Entscheidungsträgern selbst,
- von Sicherheitsbedenken, regulatorischen Anforderungen und Haftungsfragen, die die Entscheider ganz persönlich treffen können,
- von der Kompatibilität mit bestehenden Systemen,
- vom Ausmaß des zur Adaption notwendigen Kulturwandels und
- vom Ausbildungsaufwand zur Nutzung der neuen Technologien.
Das Vorwissen hierzu legt offen, wie viel das Unternehmen tatsächlich während des Veränderungsprozesses an Effizienz verliert, bis neue Routinen ihren Weg in den Arbeitsalltag gefunden haben. Es lässt das Ausmaß der Veränderungen erkennen, reduziert die vorherrschende Ungewissheit und schafft Handlungsspielräume für inkrementelle Entscheidungen, d.h. schrittweise oder stufenweise getroffene Entscheidungen, bei denen Änderungen oder Verbesserungen graduell eingeführt werden.
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Abgesicherte Veränderungen brauchen Zeit
Im Gegensatz zu radikalen oder umfassenden Veränderungen, die eine grundlegende Neugestaltung oder einen vollständigen Wandel implizieren, beinhalten inkrementelle Entscheidungen zunächst kleinere, überschaubare Anpassungsleistungen oder Fortschritte. Sie ermöglichen eine umsichtige und abgesicherte Anpassung an neue Technologien, Marktbedingungen oder Kundenanforderungen. Feedback in Form von Rückmeldungen oder Erfahrungen kann hierbei in jeder Phase zeitnah implementiert werden. Dies ermöglicht den Unternehmen, frühzeitig chaotische und völlig unvorhersehbare Auswirkungen zu berücksichtigen, die einen großen Einfluss auf ihren Erfolg haben können. KMU reduzieren auf diese Weise innerhalb der BANI-Welt[3] das Risiko von Fehlern oder negativen Auswirkungen und können sich kontrolliert an unvorhersehbare Ereignisse im Vollzug des Veränderungsprozesses anpassen.
Wenn auch die Forderung nach Digitalisierungsstrategien immer wieder laut wird, bietet der inkrementelle Ansatz der KMU nicht nur den Vorteil, flexibel auf sich ändernde Anforderungen reagieren zu können, ohne große, disruptive Veränderungen vornehmen zu müssen. Er begegnet der Unsicherheit, dem Chaos ausgeliefert zu sein, mit System und präsentiert einen Weg, wie sich Veränderungen innerhalb einer sich stetig wandelnden Umwelt vollziehen lassen, um einen abgesicherten, kontinuierlichen Prozess der Anpassung und Optimierung zu realisieren.
Ansprechpartner:
Ninette Florschütz
Modellfabrik Vernetzung
Telefon: 03677/69-5075
E-Mail: florschuetz@kompetenzzentrum-ilmenau.de
[1] DIGITALISIERUNG IN DEUTSCHEN FAMILIENUNTERNEHMEN, online abrufbar unter: https://t1p.de/rase9 (abgerufen am 18.10.2022)
[2] Online abrufbar unter: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/Digitalisierung/Mittelstand/Downloads/Studie_Kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 16.11.2023)
[3] Die BANI –Welt beschreibt Herausforderungen, die sich aus einer rasant wandelnden Unternehmensumwelt ergeben. Im Unterschied zur VUCA-Welt (volatil, unsicher, complex, ambivalent) dominieren hier die Charakteristiken brüchig, ängstlich, nicht-linear und unverständlich (vgl. auch Ford, Henry. (2017): Change Management aus hypnosystemischer Sicht. Hypnosystemische Perspektiven im Change Management, S. 59 sowie Haas, Oliver; Huemer, Brigitte ; Preisegger, Ingrid (2022): Die neue Welt und ihre Dynamik. In: Resilienz in Organisationen. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, S. 19–37.)
Bildquellen
- Büromeeting: AnnaStills - MotionArray
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