Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, die unsere Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt tiefgreifend verändert. Während sie in Bereichen wie Medizin, Logistik oder Energieoptimierung als Hoffnungsträger für mehr Nachhaltigkeit gefeiert wird, wirft ihr eigener Ressourcenhunger kritische Fragen auf. Dieser Blogbeitrag beleuchtet das komplexe Wechselspiel zwischen KI-gestützten Effizienzgewinnen und dem ökologischen Fußabdruck der Technologie selbst – von der Entwicklung über die Nutzung bis zur Entsorgung der Hardware.
Energie- und Ressourceneffizienz durch KI: Chancen in Industrie und Alltag
KI-Systeme bieten vielfältige Ansätze, um Energie- und Materialströme zu optimieren. In der industriellen Produktion ermöglichen sie beispielsweise die vorausschauende Wartung von Maschinen, die Reduktion von Ausschuss oder die präzise Steuerung von Fertigungsprozessen. Das Fraunhofer IAO zeigt in einer Studie, wie KI den Energieverbrauch in der Stahlproduktion um bis zu 10 % senken kann, indem sie Heizprozesse optimiert und Leerlaufzeiten minimiert. Ähnliche Potenziale existieren in der Gebäudeautomation: Lernende Algorithmen passen Heizung, Lüftung und Beleuchtung dynamisch an Nutzungsmuster an, was den Energiebedarf um 20-30 % reduziert.
Im Verkehrssektor tragen KI-gestützte Routenplaner wie Google Maps bereits heute dazu bei, Kraftstoffverbrauch und Emissionen zu senken. Auch in der Landwirtschaft helfen Sensornetzwerke und Machine-Learning-Modelle, Düngemitteleinsatz und Bewässerung bedarfsgenau zu steuern – ein Ansatz, der in Pilotprojekten zu 40 % geringerem Wasserverbrauch führte.
KI als Katalysator für Kreislaufwirtschaft
Ein besonders vielversprechendes Feld ist der Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft. Herkömmliche Recyclingprozesse stoßen angesichts komplexer Materialverbunde oft an Grenzen. Hier setzen Projekte wie KIOptiPack an, die KI nutzen, um Kunststoffverpackungen mit höheren Rezyklatanteilen zu designen. Durch Maschinenlernen analysieren Algorithmen Materialeigenschaften und Vorbehandlungsmethoden, um das Downcycling von Kunststoffen zu vermeiden. Im Innovationslabor K3I-Cycling entsteht sogar ein „digitaler Zwilling“ von Recyclinganlagen, der mithilfe künstlicher neuronaler Netze den Materialfluss in Echtzeit optimiert.
Im Elektroschrott-Recycling revolutionieren Computer-Vision-Systeme wie Ultralytics YOLOv8 die Sortiertechnik. Diese KI-Modelle identifizieren auf Förderbändern präzise wiederverwertbare Komponenten – von Goldkontakten auf Leiterplatten bis zu seltenen Erden in Akkus. Startups wie AMP Robotics setzen Roboterarme ein, die pro Minute bis zu 80 Teile greifen und so die Recyclingquote gegenüber manueller Sortierung verdoppeln. Solche Technologien sind dringend nötig: Aktuell landen weltweit 83 % des Elektroschrotts auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen.
Der ökologische Preis der KI
Doch diese Fortschritte haben eine Kehrseite: Der Betrieb von KI-Systemen frisst selbst enorme Ressourcen. Das Training großer Sprachmodelle wie GPT-3 verbrauchte 1.287 MWh Strom – genug, um 105.000 Haushalte in der Schweiz einen Tag lang zu versorgen. Prognosen zufolge könnte der Energiebedarf von Rechenzentren bis 2027 auf 134 TWh ansteigen, was dem Jahresverbrauch der Niederlande entspricht. Besonders problematisch ist der Wasserverbrauch: Allein für das Kühlen der Serverfarmen beim Training von GPT-3 wurden beispielsweise 700.000 Liter Frischwasser benötigt.
Hinzu kommt der Materialbedarf für KI-Hardware. Hochleistungs-GPUs und TPUs enthalten seltene Erden wie Gallium oder Indium, deren Abbau ökologische und soziale Probleme verursacht. Die kurze Innovationszyklen (3-5 Jahre) führen zu einem massiven Anstieg elektronischen Abfalls: 2024 fielen global 75 Millionen Tonnen Elektroschrott an, wovon nur 17 % fachgerecht recycelt wurden. Selbst wenn also KI beim Recycling hilft, bleibt die Grundproblematik bestehen: Jede neue Hardware-Generation erfordert neue Rohstoffe.
Die versteckten Kosten der KI-Nutzung
Während das Training großer Modelle mediale Aufmerksamkeit erregt, entfallen 80-90 % des Energieverbrauchs auf die Inferenzphase – also die tägliche Nutzung. Eine einzige KI-gestützte Google-Suche verbraucht zehnmal mehr Energie als eine klassische Websuche. Hochgerechnet auf die 9 Milliarden täglichen Suchanfragen ergäbe dies einen Jahresbedarf von 29,2 TWh – dem Stromverbrauch Irlands.
Doch nicht alle KI-Anwendungen sind gleich ineffizient. Lokale KI-Systeme, die direkt auf Endgeräten laufen, benötigen viel weniger Energie. Ein Beispiel sind intelligente Thermostate, die ohne Cloud-Anbindung Heizprofile lernen. Solche Edge-Computing-Ansätze, bei dem die Datenverarbeitung in direkter Nähe zur Datenquelle stattfindet, reduzieren nicht nur den Energiebedarf, sondern auch die Datenschutzrisiken.
Recycling von KI-Hardware
Die Wiederverwertung von KI-Komponenten steht vor technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Server-GPUs enthalten bis zu 30 verschiedene Metalle, die sich nur mit aufwendigen Verfahren trennen lassen. Projekte wie „ReCircE“ testen Sensoren und KI-Algorithmen, um verborgene Wertstoffe in Elektronikabfällen zu identifizieren. Die Mikrofabrik des Startups Molg demonstriert, wie Roboter Smartphones in Einzelteile zerlegen, um Halbleiterchips für die Wiederverwendung zu bergen.
Solche Verfahren sind bislang nicht für den Massenmarkt geeignet. Häufig ist das Recycling seltener Erden wirtschaftlich nicht rentabel, da ihr Marktpreis die Kosten für die Extraktion meist nicht abdeckt. Zusätzlich erschweren proprietäre Designs und Verklebungen die Zerlegung der Bauteile. Die EU-Kommission setzt daher in ihrem Recht-auf-Reparatur-Aktionsplan auf standardisierte und recyclingfreundliche Komponenten.
Lösungsansätze für eine nachhaltige KI-Zukunft
Für eine nachhaltige Zukunft der Künstlichen Intelligenz (KI) gibt es mehrere zentrale Handlungsfelder, die sowohl technologische Innovationen als auch regulatorische Maßnahmen umfassen.
Ein wichtiger Ansatz ist die Entwicklung von nachhaltigkeitsorientierten, neuronalen Netzarchitekturen. Studien zeigen, dass neuronale Netze mit 80–90 % weniger Parametern trainiert werden können, ohne signifikante Genauigkeitseinbußen zu verursachen. Dies wird durch Methoden wie Dynamic Sparse Training (DST) oder Pruning erreicht, bei denen unwichtige Verbindungen entfernt werden. Darüber hinaus könnten quanteninspirierte Algorithmen die Rechenlast weiter senken und so den Energieverbrauch erheblich reduzieren.
Auch das nachhaltige Hardware-Design spielt eine entscheidende Rolle. Modular aufgebaute Server mit austauschbaren GPUs, wie sie beispielsweise von Google getestet werden, verlängern die Nutzungsdauer von Hardwarekomponenten und reduzieren den Elektronikmüll. Parallel dazu wird an biologisch abbaubaren Leiterplatten aus Myzelium geforscht, die eine umweltfreundlichere Alternative zu herkömmlichen Materialien bieten könnten.
Ein weiteres zentrales Handlungsfeld ist die Transparenz und Regulierung. Der EU AI Act wird ab 2026 Unternehmen verpflichten, den Ressourcenverbrauch ihrer KI-Systeme offenzulegen. Solche regulatorischen Maßnahmen schaffen Anreize für mehr Nachhaltigkeit in der Branche. Gleichzeitig entwickeln Initiativen wie „MLCO2 Impact“ Messstandards, um die CO₂-Bilanz von KI-Systemen messbar und vergleichbar zu machen.
Schließlich ist auch die Kreislaufführung von Rechenzentren ein bedeutender Aspekt. Microsoft experimentiert mit Unterwasser-Rechenzentren, die durch Meerwasser passiv gekühlt werden können und so den Energiebedarf für Kühlung drastisch senken. Darüber hinaus bietet die Abwärme von Rechenzentren ein enormes Potenzial für nachhaltige Wärmeversorgung. Bereits heute wird in Projekten wie in Høje-Taastrup, Dänemark, oder Stockholm, Schweden, die überschüssige Wärme von Servern genutzt, um Haushalte und öffentliche Gebäude zu beheizen.
Fazit
Künstliche Intelligenz ist weder Heilsbringer noch Teufelswerk. Ihr Beitrag zur Nachhaltigkeit hängt davon ab, wie wir sie einsetzen. Als Werkzeug zur Optimierung bestehender Prozesse kann sie Ressourcen sparen – vorausgesetzt, ihr eigener Fußabdruck wird durch grüne Energie, effiziente Algorithmen und Kreislauf-Hardware minimiert. Die größten Potenziale liegen in der Symbiose von KI mit klassischen Umweltschutzmaßnahmen: Von smarten Stromnetzen, die Erneuerbare Energien integrieren, bis zu präzisen Recyclingsystemen, die unsere Rohstoffbasis erhalten.
Doch ohne politische Vorgaben und ökonomische Anreize wird die Transformation nicht gelingen. Es braucht eine doppelte Strategie: die disruptive Kraft der KI nutzen, um traditionelle Industrien zu ökologisieren – und gleichzeitig die Tech-Branche selbst in die Pflicht nehmen. Nur wenn wir beide Seiten der Medaille betrachten, wird KI zum Katalysator echter Nachhaltigkeit.
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Bildquellen
- KI und Nachhaltigkeit: KI-generiert mit Flux