Nicht nur Fachkräfte gewinnen – sondern sie auch behalten! Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) stärkt und erhält die Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen langfristig. Dabei führt es nicht nur dazu, dass sich Mitarbeitende wertgeschätzt und unterstützt fühlen, was ihre Zufriedenheit und die Bindung ans Unternehmen erhöht. Sondern es ist auch betriebswirtschaftlich sinnvoll und nachhaltig, weil es dazu beiträgt, die Belegschaft produktiver und leistungsfähiger zu machen und krankheitsbedingte Kosten zu senken.
BGM kann einen ganzen Strauß unterschiedlicher Maßnahmen umfassen wie Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz, betriebliches Eingliederungsmanagement und eine gesunde Unternehmenskultur. Um jedoch entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können, muss zunächst eine Bestandsaufnahme durchgeführt werden. Diese kann beispielsweise über Ergonomie-Analysen erfolgen.
Ergonomie-Analysen
Ergonomie-Analysen decken dabei insbesondere den Bereich Gesundheits- und Arbeitsschutz ab. Sie untersuchen die Interaktion zwischen Menschen und ihrer Arbeitsumgebung und erforschen, wie Arbeitsbedingungen und -prozesse das Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit der Mitarbeitenden beeinflussen. Je genauer und sorgfältiger eine solche Ergonomie-Analyse durchgeführt wird, desto gezielter können sinnvolle Maßnahmen umgesetzt werden. Bei solchen Maßnahmen geht es primär darum, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie den Anforderungen der Mitarbeitenden gerecht werden, deren physische und geistige Gesundheit fördern sowie ein Gleichgewicht zwischen Belastung und Belastbarkeit des Mitarbeitenden schaffen.
Eine der häufigsten Herausforderungen in vielen Berufen sind Muskel- und Skelettbelastungen. Typischerweise entstehen solche Belastungen durch Heben, Halten, Tragen und Ziehen von Lasten, durch Arbeiten in erzwungenen Körperhaltungen sowie durch Tätigkeiten mit hohen Ganzkörperkräften. Die Folge sind oft Muskel-Skelett-Erkrankungen, die eine bedeutende Ursache für Arbeitsunfähigkeitstage darstellen.
Zur Identifizierung von Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz können verschiedene Ergonomie-Analyse-Methoden eingesetzt werden. Dazu gehören Checklisten zur Belastungssituation, Risiko- und Kraftindizes, Leitmerkmalmethoden, ergonomische Messverfahren, Fragebögen sowie Foto- und Videoanalysen. Gerade moderne Technologien spielen hierbei eine immer wichtigere Rolle. Das sogenannte „Motion Capture“, also die Echtzeiterfassung von Bewegungen zur Analyse von Belastungsmustern und -bedingungen, ist hierfür ein prominentes Beispiel. Dabei werden Bewegungen des menschlichen Körpers mit speziellen Sensoren oder Kameras erfasst. Diese Sensoren oder Kameras zeichnen die Bewegungen in Echtzeit auf, indem sie Marker oder reflektierende Punkte verfolgen. Die aufgezeichneten Bewegungsdaten werden anschließend von einer Software analysiert, die die Bewegungen in digitale Modelle umwandelt. Körperhaltungen und Bewegungen können so detailliert untersucht und Belastungen auf verschiedene Körperteile bewertet werden. Beispiele für technische Lösungen in dem Bereich sind Ergonomie-Analysesysteme von Advance Realtime Tracking und prosund.
Im Gegensatz zum „Motion Capture“ erfolgt bei den Biomechanischen Messsystemen die Erfassung der Daten über Sensoren, die direkt am Körper angebracht werden. Sie messen beispielsweise die Muskelaktivität, Gelenkwinkel und wirkende Kräfte. Ein Beispiel für eine solche technische Lösung ist das Ergonomie-Messsystem INDUSTRIAL ATHLETE von Scalefit
Ganz ohne Sensorik oder Marker kommt hingegen „Computer Vision“ aus. Mittels Kameras und Bildverarbeitungsalgorithmen werden die Bewegungsdaten in Echtzeit analysiert. Beispiele für erhältliche Anwendungen sind die Treston ErgoID™-Ergonomieanalyse von Treston und die HUMEN® Dynamics-App vom Institut für Gesundheit und Ergonomie.
Die einzige niederschwellige Ergonomie-Analyse-Lösung auf dem deutschen Markt, mit der die gesamte Belegschaft analysiert werden kann, ohne teure Technik anschaffen zu müssen, ist nach unserer Einschätzung die HUMEN® Dynamics-App. Da bei der Analyse der Bewegungsdaten keine Sensordaten zur Verfügung stehen, werden zwar nicht die höchsten wissenschaftlichen Ansprüche erfüllt. Für die allermeisten Anforderungen in Unternehmen ist diese Lösung in unseren Augen jedoch ausreichend.
Für die Nutzung der App wird lediglich ein Smartphone oder Tablet mit einer funktionstüchtigen Kamera benötigt. Kosten entstehen ausschließlich durch die sekundengenaue Abrechnung der im Vorhinein zu erwerbenden Analyseminuten, deren Verbrauch von der Länge des aufgenommenen Videos abhängt.
Die zu analysierende Person kann frontal, seitlich oder von hinten aufgenommen werden, da die Software Bewegungen aus allen Perspektiven erkennt. Im Anschluss an die Aufnahme wird die Videosequenz über die App an das Institut für Gesundheit und Ergonomie geschickt und dort über eine KI-basierte Analysesoftware ausgewertet. Das Ergebnis kann innerhalb von zehn Minuten in der App abgerufen werden.
Die Analyse beinhaltet einen ausführlichen Bericht und ein ausgewertetes Video, das wertvolle Einblicke in die ergonomischen Schwachstellen und deren Behebung gibt. Das Ergebnis der Belastungen einzelner Körperpartien wie Schultern, Rücken oder Kniegelenke wird mittels eines Avatars in Ampelfarben dargestellt. Anhand der verbildlichten körperlichen Belastungen können gewohnte Bewegungsabläufe verändert und die Akzeptanz von ergonomischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Exoskeletten gefördert werden.
Quelle: © Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau
Exoskelette
Die Bereitstellung von Exoskeletten ist eine von vielen möglichen Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ein Exoskelett ist eine tragbare Struktur, die den Körper bei schweren Tätigkeiten unterstützt und entlastet. Exoskelette werden auch als Außenskelette bezeichnet und dienen der Unterstützung und dem Schutz des Körpers. Sie sollen Überlastungen verhindern und die Gesundheit der Mitarbeitenden erhalten.
Exoskelette lassen sich in aktive und passive Systeme unterteilen. Aktive Exoskelette nutzen externe Energiequellen, um zusätzliche Kräfte bereitzustellen, während passive Systeme rein mechanische Unterstützung z. B. über Federsysteme bieten und die einwirkenden Kräfte optimal verteilen. Im Gegensatz zu den aktiven Exoskeletten, führen passive Exoskelette nicht zu einer Leistungssteigerung. Aufgrund geringerer Kosten kommen vor allem passive Exoskelette für kleine und mittlere Unternehmen infrage.
Die Wahl eines passiven Exoskeletts hängt von den physischen Anforderungen und dem Einsatzbereich ab. Bei Tätigkeiten wie Heben und Tragen werden andere Exoskelette benötigt als bei Arbeiten in gebückter Haltung, in der Hocke oder über Kopf.
Für repetitive Handbewegungen wie Montagearbeiten gibt es beispielsweise Finger-Exoskelette, die Greif- und Haltebewegungen durch mechanische Strukturen und Federsysteme unterstützen.
Überkopfarbeiten können wiederum durch Exoskelette erleichtert werden, die die Belastung der Schultern und Arme mindern, indem sie ein Teil des Gewichts der Arme und Werkzeuge tragen. Besonders in der Bau- und Fertigungsindustrie ist dies sehr nützlich, wo häufig über Kopf gearbeitet wird.
Auch für schweres Heben gibt es spezielle Exoskelette. Sie unterstützen die Lendenwirbelsäule und die Beine beim Bewegen schwerer Lasten, in dem sie das Gewicht verteilen und somit die Belastung der unteren Rücken- und Beinmuskulatur reduzieren. Solche Exoskelette kommen besonders in der Logistik und im Bauwesen zum Einsatz.
Die Vielfalt unterschiedlicher Exoskelette erfordert eine fachliche Beratung. Außerdem sollten die von der Maßnahme betroffenen Mitarbeitenden bei der Wahl der infrage kommenden Exoskelette einbezogen werden und ein Probelauf vor der Anschaffung mit dem Anbieter vereinbart werden. Denn was nutzt die Anschaffung von Exoskeletten, wenn sie am Ende wegen fehlender Akzeptanz nicht genutzt werden?
Fazit
Beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement bietet die Kombination von Ergonomie-Analysen und dem Einsatz von Exoskeletten bedeutende Vorteile für die Gestaltung moderner Arbeitsplätze. Durch solche Maßnahmen können Unternehmen nicht nur die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeitenden verbessern, sondern auch deren Produktivität und Zufriedenheit steigern, damit sie so lange wie möglich dem Unternehmen treu bleiben.
Ansprechpartner:
Dr. Kerstin Michalke
Modellfabrik Virtualisierung
Tel: +49 3641 205-390
E-Mail: michalke@kompetenzzentrum-ilmenau.de
Bildquellen
- Verschiedene Exoskelette in Anwendung: © Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau
- Ergonomieanalyse und Exoskelette: Microsoft Copilot